Johann Sebastian Bach – Fetischist der Vierzehn

König David hat Bach berufen: Bei der Zahlenmystik des größten Barockkomponisten lassen sich Wahrheit und Legende längst nicht mehr unterscheiden. Das lehrt effektvoll eine Ausstellung in Eisenach.

Bach war kein guter Schüler, nicht mal in Mathematik. In der Schülerrangfolge seiner Schule in Eisenach, wo man auf Religion, Grammatik und Arithmetik Wert legte, landete er im Jahr 1693 auf dem 47. Platz. Sechstletzter!

Ob er je einen Schulabschluss machte, ist ungewiss. Dass sich Bach eben deswegen als Underdog fühlte – für diese These des Bach-Forschers Christoph Wolff spricht vieles. Ebenso dafür, dass Bach gerade mangels schulischer Bildung zeitlebens ein so großes Bohei um die zahlenmystischen Konstellationen in seinem Werk trieb.

Bachs Zahlenspielerei ist gegenwärtig Thema einer Kabinettausstellung im Bachhaus Eisenach. Also dort, wo er zählen lernte. Schaubilder, Trickfilmchen und die zwei berüchtigten Anlässe für Bachs Zahlenfetischismus sind zu sehen: das Porträt nach Elias Gottlob Haußmann, auf dem sich Bach mit genau vierzehn Knöpfen an seiner Joppe malen ließ. Und der gläserne, um 1735 entstandene Bach-Pokal, dessen vierzehn Tupfen gleichfalls die Offenbarung der Bach-Zahl schlechthin repräsentieren.

Eine Zahl ist im Gesamtwerk eingeschrieben

Denn Bach, das bedeutet die Zahl 14. Nach der Summe der Buchstaben in seinem Namen: B+A+C+H = 14 war er auf genau diese Ziffer festgelegt. Denn B als zweiter Buchstabe des Alphabets, A als erster Buchstabe etc., das ergibt als Summe genau diese, dem Gesamtwerk Bachs immer wieder eingeschriebene, Zahl 14.

Nicht der Komponist selbst hat auf diese Zahl hingewiesen. Erst dem evangelischen Theologen Friedrich Smend, ab 1923 Bibliothekar an der Berliner Staatsbibliothek, fielen merkwürdige numerische Regelmäßigkeiten vor allem in den großen Oratorien auf. Diese wurden durch Douglas Hofstadters Bestseller „Gödel, Escher, Bach“ 1979 allgemein bekannt.

Hofstadter nannte sie „seltsame Schleifen“. Einige Beispiele: Die 43 Credo-Rufe in der h-Moll-Messe entsprechen genau der Zahl von C+R+E+D+O, gerechnet nach dem natürlichen Zahlenalphabet. Auch in den 63 Christus-Anrufungen der Matthäuspassion versteckt sich in Gestalt der Summe von 49 (= 7 x 7) + 14 (der Bach-Zahl) ein geheimes Selbstbildnis des Komponisten.

Eine Theorie – zu schön, um nicht wahr zu sein

Die Theorie ist zu schön, um nicht wahr zu sein. Aus diesem Grunde ging sie historisch bruchlos in den Bereich der Legende über. Musikwissenschaftler der Vergangenheit glaubten nachweisen zu können, Bach habe durch die Zahl der Takte in seinen „Goldberg-Variationen“ das Datum seines eigenen Todes vorausberechnet. Einem Leipziger Witz zufolge entspricht die Gesamtsumme der Sätze in den Kantaten, nach Werkgruppen geordnet, der Nummer des Bach-Kontos bei der ortsansässigen Sparkasse.

Nun sind Bachs kabbalistische Verwicklungen – als Grunddisposition für eine evangelische Mystik – ein durchaus ernst zu nehmendes Thema. Wer sich jemals vor Augen geführt hat, wie die drei Stimmen des „Canon triplex a 6 vocibus“ auf dem Notenblatt des besagten Haußmann-Porträts durch Spiegelung, Verschiebung, Fugierung und Fermentierung zum Grundstoff der Goldberg-Variationen umgemünzt wurden, muss staunen. Und wird Bach alles zutrauen.

Übrigens handelte es sich bei zwei dieser Stimmen um Melodien von Händel und Couperin, vor denen sich Bach auf diese Weise dezent verbeugen konnte. All diese Dinge sind triftig und interessant, selbst wenn Friedrich Smend als Entdecker von Bachs Numerologie im Einzelfall Unrecht haben sollte.

„Kunst der Fuge“ als Selbstporträt Bachs

Am Rande der Ausstellung „Bach und die Zahlen“ entschlüsselte nicht zufällig der Bach-Forscher Wolfgang Wiemer die „Kunst der Fuge“ erstmals als theologisches Selbstporträt Bachs. Nach Wiemers frappierender Dekodierung entsprechen die Anfangstöne des Grundthemas in Bachs Orgel-Hauptwerk „dem Namen ‚DAVID’“. Eigenhändige Eintragungen in seine Calov-Bibel belegen Bachs „Auffassung von seinem Berufsstand als eines auf König David zurückgehenden Amts“.

Natürlich kann man auch in dem Datum der Ausstellungseröffnung in Eisenach einen tieferen Sinn erblicken. 2014! Das riecht ja geradezu danach, dass auch in den Betreibern des Bachhauses der Geist der (Über-)Interpretation erwacht ist. „1714 ist Bach in Weimar zum Konzertmeister aufgestiegen“, so Museumsdirektor Jörg Hansen. Kann doch kein Zufall sein! Schein und Sein will man auch in Eisenach nicht mehr allzu genau unterscheiden.

Zwar weist Jörg Hansen bereitwillig ständig darauf hin, die Theorie der Zahlen sei schön, aber in vielen Details falsch. Er selbst hob den Ruf seines Museums wieder in den Rang eines Geburtshauses von Bach – eine Nobilitierung, die wissenschaftlich längst nicht mehr haltbar ist. Schon 1928 wurde bei der Prüfung von Steuerbelegen entdeckt, Bachs wahres Geburtshaus sei mit dem heutigen Bachhaus nicht identisch.

Zwischen Zahlen- und Taschenspielerei

Die Plakette an der Fassade wurde abgehängt. „Das Publikum glaubte weiterhin daran, das Bachhaus sei der Geburtsort“, so Direktor Hansen. „Deswegen haben wir die Plakette wieder angebracht.“

Die Grenze zu ziehen zwischen Zahlen- und Taschenspielerei, dies wird in der Bach-Forschung nie gelingen. Es erreicht zu haben, ist eine Leistung, die man Bach gutschreiben und gönnen muss.

Wäre er nicht ohnehin schon der musikalisch Beste, man würde es daran ermessen können, wie er uns alle auflaufen lässt. Wie er uns hereinlegt. Und die Hure Vernunft mit uns. Zum Lobe Gottes. Denn zu wessen Lobe sonst?

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